Dienstag, 20. Juli 2010

Haiti Juli 2010 - und immer noch kein Wiederaufbau

Seit dem Erdbeben bin ich jetzt fünfmal für Hilfeleistungen in Haiti gewesen, also praktisch jeden Monat einmal. Ich habe jedes Mal nach positiven Veränderungen Ausschau gehalten. Aus einfachen Schlafstellen im Freien wurden zuerst Behelfszelte, dann mehr oder weniger regendichte Zelte für mehr als eine Million (!) Menschen. Dass die Infrastruktur für so viele Menschen nicht gelingen kann, liegt auf der Hand.


Aber alle hängen am Tropf der Hilfsorganisationen. Dass diese Organisationen ohne Nachschub nach einiger Zeit ausbluten, ist abzusehen. Was die Menschen brauchen, ist Arbeit, ein eigenes Dach über dem Kopf und ein selbstverantwortliches Leben.

In La Saline stehen andererseits ganze Häuserzeilen verlassen da. Viele sind unbewohnbar wegen der Erdbebenschäden. Die meisten aber wurden verlassen und die Türen wurden einfach zugeschlossen.
Man fragt sich unwillkuerlich, wo denn die Menschen geblieben sind. Sind sie vielleicht in eines der Zeltdörfer gezogen, weil sie dort gratis versorgt werden?
http://www.youtube.com/watch?v=ygdDo41X4mM

Ich frage mich, warum nach einem halben Jahr immer noch kein Wiederaufbau, ja noch nicht einmal intensiv die Beseitigung von Schutt und Abraum gelungen sind.
Bei Kopp-Verlag - Hintergrundwissen - bin ich fündig geworden.
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/f-william-engdahl/hinter-der-fassade-von-bill-clintons-haiti-hilfe-.html

Es ist ja ganz unglaublich. Mit 10 Milliarden Dollar im Rucksack bereitet Bill Clinton für die USA praktisch die Machtübernahme in Haiti vor. Zuerst musste der (schwache) Präsident Preval und das haitianische Parlament entmachtet und sein gesamter Staatsapparat lahmgelegt werden. Mein Freund Jodny war Mitarbeiter im Verkehrsministerium, ist heute arbeitslos und lebt von Almosen in einem Zelt auf der Plaza Santa Anna, unweit des halb eingestürzten Präsidentenpalastes.

Als nächstes wird in Haiti eine Notstandsregierung ausgerufen und das Land als Billiglohnland (insbesondere für die Textilien-Herstellung) benutzt. Das ist nicht aufzuhalten und wird auch strategisch und militärisch durchgesetzt. Heute sind bereits prozental auf die Bevölkerung gesehen genau so viele UN-Soldaten in Haiti, wie Besatzer in Afghanistan.

Haiti ist heute ein Spielball ausländischer Interessen. Eine erste Reaktion auf die Monsanto-Affaire mit gentechnisch verändertem Mais hat bereits gezeigt, dass die Menschen eigene Vorstellungen von ihrer Zukunft haben - aber sie haben keine Arbeit und kein Geld, um für sich und ihr Land sorgen zu können. Dennoch verbrennen sie lieber hochwertigen Mais, als sich von einem hochgezüchteten Produkt abhängig zu machen, das immer neue Pestizid-Nachlieferungen aus den USA erfordert und als Saatgut nicht verwendbar immer wieder neu angekauft werden muss.
Siehe Kopp-Verlag:
http://info.kopp-verlag.de/medizin-und-gesundheit/gesundes-leben/f-william-engdahl/usaid-gibt-den-hungernden-in-haiti-saatgut-von-monsanto-.html

Betrachten wir diese de facto Annektierung einmal positiv, so liegt hierin auch eine Chance für die Bevölkerung von Haiti. Mit dem Wiederaufbau der Stadt ist, wie auch immer, als erstes ein immenser Bedarf an Arbeitskräften verbunden. Sicher können technisch versierte Facharbeiter eingeflogen werden, die aber nicht nur teuer, sondern auch mit den Lebens- und Umgebungsumständen in dieser gewöhnungsbedürftigen Stein- und Geröllwüste sicher wenig vertraut sind. Für haitianische Arbeitskräfte bestehen daher gute Chancen, Arbeit zu finden und sich für bestimmte Aufgaben ausbilden zu lassen.

Selbst der Aufbau von Billiglohn-Fabriken, z. B. für Textilien bedeutet als erstes einmal Lohn für Arbeiterinnen und Arbeiter, als Grundlage für einen Lebensstandard. Heute kann man zumeist von einem 0-Standard sprechen, wenn man die Slums betrachtet, zu denen ich auch die neuen Zeltstädte rechne.